"Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge,
würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen."
Martin Luther
Ungewissheit ist schlimm, zermürbend, dunkel, sie macht ohnmächtig.
Unsere Geschichte möchte ich für mich, für uns als Familie und die Nachkommen, aber auch für all diejenigen aufschreiben und festhalten, die in irgendeiner Form eine Art der Ungewissheit aushalten müssen.
Für uns begann es im Sommer 2023.
Mein Mann und ich saßen gerade bei einem Tee in seiner Mittagspause gemütlich auf "unserer" Terrasse und genossen den herrlichen Sonnenschein, das Summen und Brummen all der Insekten an den Blumen, das Zwitschern der Vögel in den Bäumen und das Gelegentliche Kläffen unseres Hundes, weil er sich wieder an einem vorbei fahrenden Radfahrer störte. Wir schauten in "unseren" Garten und sprachen über unsere Pläne und Vorstellungen. Den einen Hühnerstall hatten wir gerade komplett abgebaut und vernichtet, den anderen wollten wir an eine andere Stelle auf dem Grundstück stellen um eine tote Ecke zu beleben, und anstelle von dem damalig aktuellen Hühner-Wohnort, sollte eine Poolfläche für unsere Kinder entstehen.
An dieser Stelle mache ich einen kleinen Einwurf, für das bessere Verständis unserer Situation: Mein Mann ist Hausmeister an einer Schule und wir Mieten als Hausmeisterfamilie das ehemalige Direktorenhaus (von 1897) das an die jetzige Schule angebaut ist. Bevor wir in das Haus einzogen, gab man uns die mündliche Zusage das wir, so lange mein Mann an der Schule angestellt ist, im Haus Leben bleiben dürfen. Aufgrund dieser Zusage haben wir anschließend sehr viel Körperliche und Finanzielle Eigenleistung in die Sanierung des Hauses und Aufarbeitung des Gartens investiert. Das, als kleine Randnotiz zum besseren Verständnis.
Da saßen wir also gemütlich auf der Terrasse und besprachen die erforderlichen Schritte für die Veränderung, als Jan (geänderter Name) und sein Architekt an den Gartenzaun traten.
In dem Augenblick beschlich uns ein ungutes Gefühl, denn wir hatten vorher schon Gerüchte gehört, dass die Schule sich vergrößern wollte. Es gab einen kurzen höflichen Austausch als mein Mann direkt fragte: "Na, schaut ihr hier etwas wegen der Schule?" Jan und der Architekt ließen ihre Blicke einen Augenblick über das Haus schweifen, bevor Jan mit weit ausholenden Armen Richtung Haus und Garten zeigte und sagte: "Ja, wir wollen dass alles hier gerne abreißen um die Schule zu vergrößern."
Mein Mann und ich saßen beide wie vom Donner gerührt und waren erst einmal Sprachlos. Eine Botschaft, die einem den Boden unter den Füßen wegzieht, die Herzrasen und Angst verursacht. Einfach so übern Gartenzaun überbracht. Ohne Vorankündigung. Ohne Vorbereitung. Einfach so eiskalt um die Ohren gehauen, als ob das für uns keine Bedeutung hätte. Als wenn das unser Leben nicht völlig auf den Kopf stellen würde. Ich brachte genau einen Satz heraus, mit einer Stimme die alles an Emotionen und Fassungslosigkeit widerspiegelte: "Ihr wollt uns wirklich Heimatlos machen?" Danach war ich nicht mehr fähig auch nur ein Wort herauszubringen. Nicht einmal verabschieden konnte ich mich. Ich war gebrochen.
Alle Pläne die wir bis dato geschmiedet hatten, legten wir erst einmal auf Eis und Provisorien wurden errichtet. Mein Garten verkam. Ich machte nichts mehr. Ich war erfüllt von Hoffnungslosigkeit, Desillusioniert, entwickelte Zukunftsängste und gleichzeitig Hassgedanken, verfiel immer mehr in depressive Stimmungen und hatte bald keine Antriebskraft mehr.
Mein Zustand war sehr bedenklich und schlimm. Ich betete viel, fühlte Gott aber nicht mehr.
Ich war eine Gefangene meiner Angst und Wut.
Aber wenn ich Gott auch nicht fühlte, arbeitete er doch zuverlässig im Stillen. So kam es, dass meine Nachbarin mir zu meinem Geburtstag und zu Weihnachten (die beiden Tage liegen sehr nah beieinander) ein Bastelset für ein Deko-Gewächshaus aus Holz schenkte. Nach den Feiertagen setzte ich mich mit dem Bastelset in mein Arbeitszimmer und fing an das Gewächshäuschen zusammenzusetzen. Und während ich alles in akribischer Arbeit nacheinander zusammensetzte, die Papierpflanzen in den Händen hielt, bevor ich sie an die richtige Stelle im Haus setzte, merkte ich, wie etwas in meiner Seele passierte. Es war, als wenn die dicke Mauer aus Angst und Wut einen kleinen Riss erhielt, an dem die Sonne der Hoffnung es schaffte einen Strahl in mein kaltes Herz zu senden und es kurz zu wärmen. Je länger ich an dem Gewächshäuschen baute umso mehr kam die Sonne in mein Herz durch und als ich am Ende das fertige Häuschen betrachtete und all die Papierpflanzen wahrnahm, die im Häuschen platziert waren, merkte ich.... dass ich anfing mich auf den Frühling zu freuen. Wo vorher absolutes Desinteresse und Desillusionierung herrschte, wurde plötzlich Freude und Hoffnung breit. Es war befreiend, es war herrlich!
Ich sprach mit meinem Mann über meine Gedanke und Gefühle und wir entschieden uns, sobald das Wetter es zuließe, einfach mit unseren Plänen weiterzumachen. Trotz Ungewissheit. Trotz Risiko.
So wie Martin Luther es oben im Zitat sagte, wollten wir auf Hoffnung bauen.
Im Februar 2024 fingen wir mit dem großen Umbau an. Wir verfrachteten unter Mühe und Not den verblieben Hühnerstall an seinen neuen Platz, zogen einen schönen Staketenzaun drumherum und ich pflanzte Hortensien vor das neu eingezäunte Hühnergehege. Wir rissen die Hochbeete vor dem Gewächshaus ab (denn sie sind in den letzten Jahren schon Morsch geworden) machten alle Beete ebenerdig und Zäunten das neu gestaltete Gemüsebeet und das Gewächshaus ebenfalls mit einem Staketenzaun ein, wobei wir hier einen Rosenbogen mit Tor einsetzten, als eleganten Eingang zu den Beeten. Ich machte die vorhandenen Blumenbeete wieder frisch und machte auch schon meine erste Frühjahrsaat, als wir mitkriegten, dass wieder Planungstagungen stattfanden bzgl Schulerweiterung.
Als ich davon hörte merkte ich, wie in meinem Herzen wieder Wolken aufzogen. All das, was ich dachte bekämpft zu haben, wollte mich wieder überfallen. Da begann ich von neuem, meine Angst und meine Wut (Vor allem auf Jan) vor Gott zu bringen und all das Unkraut, dass mein Herz gefangen hielt, mit Wurzeln auszureißen und zu vernichten. Nichts sollte mein Herz mehr so verfinstern, dass ich in diesen Zustand zurück komme. Es war harte Arbeit, viel Gebet, Vergebung und Überwindung. Aber am Ende konnte ich Jan in meinem Herzen tatsächlich vergeben und Frieden finden.
An dieser Stelle fand ein kleines Wunder für mich statt: Als ich in meinem Herzen Frieden mit Jan schloss, bekamen wir die Nachricht, dass Jan sich von den Plänen "unser" Haus abzureißen, distanziert hätte, denn es gäbe nun noch zwei andere Alternativen die für die Schule sehr viel attraktiver wären, wenn ein paar umliegende Grundstücke gekauft und das Bauamt grünes Licht für die Planungen geben würde. Erleichterung, Dankbarkeit, Vorsichtige Freude durchströmte mein Herz. Vorsichtig, weil noch eine Sitzung ausstand. Eine Sitzung bei der allen führenden Mitgliedern mit Enstcheidungsgewalt alle drei Optionen zur Erweiterung der Schule vorgestellt werden sollten. Am Ende erfuhren wir zwei für uns wichtige Dinge, die uns einerseits mit Freude aber andererseits auch mit Fassungslosigkeit erfüllte:
Es versetzt uns in unermessliches Staunen und große Freude, das gerade Jan es war, der dem Projektleiter der Baufirma sagte, dass er die Option mit dem Abriss "Unseres" Hauses gar nicht erst vorstellen sollte. Derjenige der anfangs so eiskalt zu uns war, verteidigte uns nun!!! Zu recht. Denn dem Projektleiter wurde von der Architektin aufgetragen unbedingt alle drei Optionen vorzustellen. Und wie es kommen musste, schossen sich ein paar alte Herren direkt darauf ein, das Haus abzureißen. Für sie war es die allerbeste Option! Als dann ein Mensch aufstand und Rigoros für uns eintrat, gefiel das einem der Herren gar nicht. Er kam nach der Sitzung zu dem Menschen und sagte: "Hör mal, dass mit dem Hausmeister darfst du dir gar nicht so zu Herzen nehmen, du musst dir ein dickes Fell wachsen lassen! Du musst nur die Sache vor Augen haben, um die es geht!"
BOOM. Das ist schrecklich. Das tut weh.
Ich fing an zu trauern über die verloren gegangene Menschlichkeit. Über die Tatsache, dass eine Sache über dem Schicksal einer Familie steht. Das Geld die Welt regiert.
Nachdem ich zwei Wochen tiefe innere Trauer darüber getragen habe, wozu Menschen fähig sind und wie wenig Wert der Mensch geworden ist, habe ich beschlossen mir symbolisch eine Hoffnungsecke unter der Felsenbirne zu gestalten. Diese Ecke sehe ich morgens, wenn ich die Rollos im Schlafzimmer hochziehe und ich sehe sie, wenn ich aus der Haustür trete. Als ich meiner Schwester die neu bepflanzte Stelle zeigte, sagte sie scherzhaft: "Wen hast du denn hier begraben?" "Meine Trauer. Hier liegt meine Trauer begraben und erinnert mich jeden Tag an die Hoffnung die ich für mein Leben hegen darf und will." Diese Ecke ist für mich Symbolträchtig. Ich will weder verbittern noch mich meinem vermeintlichen Schicksal ergeben. Wir wissen immer noch nicht wie es mit uns weitergeht. Aber wir dürfen Hoffen. Auf eine gute Zukunft. Wenn ich an meine Vorfahren denke und wie es ihnen ergangen ist, dann ist mein Problem plötzlich klitzeklein mit Hut.
Mein Urur-Großvater hatte sich Ende 1800 in der heutigen Ukraine eine sehr erfolgreiche Landwirtschaft mit 72ha Land aufgebaut. 1930, im Alter von 53 Jahren, wurde er durch Stalin vollständig enteignet und mit seiner gesamten Familie in den Ural verschleppt, wo sie schwerste Arbeiten im Wald verrichten musste. Er und eine seiner Töchter (23J) überlebten es nicht.
Wenn ich solch dokumentierte Familiengeschichten lese, werde ich demütig. Mein Schicksal, egal wie es kommt, wird nicht schlimmer werden als das meines Ururgroßvaters.
Wichtig für mein weiteres Leben ist, das ich keine bittere Wurzel in mein Herz lasse. Ein Herz dass in Bitterkeit und Unfrieden lebt schadet mir am meisten. Dem gegenüber ist es völlig egal, er weiß nicht einmal etwas davon. Hingegen ein Herz, das bemüht ist Frieden durch Vergebung zu leben, schenkt mir Leichtigkeit und Freude. Dem anderen ist es auch egal ob ich ihm vergeben habe oder nicht, aber mir geht es mit einem Fröhlichen, leichten Herzen besser als mit einem schweren, beladenen. Es ist meine Reaktion auf die Umstände des Lebens, die mein Leben gelingen lassen oder auch nicht. Ich kann die Umstände sehr oft nicht ändern, aber ich kann meine Reaktion auf die Umstände beeinflussen und steuern.
So bin ich die letzten Wochen und Monate durch tiefe Täler gegangen, habe aus der Vergebung gelebt und habe gelernt zu vergeben, habe mich Formen lassen und gelernt alles vertrauensvoll in Gottes Hände zu legen.
Wir wissen nach wie vor nicht wie es für uns ausgehen wird. Das was ich tun kann um für unsere Zukunft zu kämpfen und sie schöner zu machen, werde ich tun. Alles andere liegt in Gottes Hand... Manche Wunder brauchen ihre Zeit, und ich weiß, dass Gott uns nichts auferlegen wird, was wir nicht tragen können.
Hoffnung trotz(t) der Ungewissheit!
Mit Hoffnungsvollen Grüßen,
Deine Viktoria
So ein berührender Text liebe Viktoria!
Und die Bilder sind traumhaft :-) Alles erdenklich Gute für euch !!!
Ganz liebe Grüße
Katrin